Kreatives Schreibprojekt im Gefängnis und in der Psychiatrie
Häftlinge im Gefängnis Frauenfeld und Patient*innen im Psychiatriezentrum Schaffhausen werden zu einer Schreibwerkstatt eingeladen. In der Corona-eingeschränkten Weihnachtszeit können die Beteiligten so zu innerer Sammlung finden. Initiiert wurde die Idee von Matthias Loretan, der als Seelsorger in beiden Einrichtungen wirkt und sich vom St. Galler Projekt «Corona-Bibel» inspirieren liess.
Da Advent und Weihnachten in diesem Jahr mitten in die zweite Welle der Corona- Pandemie fallen, müssen auch Gefängnisinsassen und Psychiatriepatient*innen mit verschärften Massnahmen und eingeschränkten Besuchszeiten rechnen. Aus diesem Grund wollte Matthias Loretan, der als Seelsorger im Psychiatriezentrum Breitenau in Schaffhausen und im Kantonalgefängnis Frauenfeld tätig ist, den Blick bewusst auf etwas Anderes richten. «Wie Weihnachten dieses Jahr im Gefängnis und in der Psychiatrie stattfinden wird, beschäftigt die Menschen dort, unabhängig von Konfession und Religion. Als kreatives und meditatives Zeichen gegen den Corona- Blues laden wir die Beteiligten ein, eine einzigartige Weihnachtsbotschaft mit persönlicher Handschrift zu gestalten, weshalb wir das Projekt auch ‹Mit Hand und Herz› genannt haben», erklärt Matthias Loretan, der zusammen mit Kooperationspartner*innen in den beiden Einrichtungen die Idee entwickelt hat.
Interreligiöser DialogNicht nur Gefangene und Patient*innen, sondern auch Betreuer*innen und Pflegende sind zur Teilnahme an der Schreibwerkstatt eingeladen worden. Für alle Interessierten hat Matthias Loretan eine Auswahl an Versen, Psalmen und Suren zusammengestellt, die etwas mit Weihnachten zu tun haben. Daraus können die Teilnehmenden ihre bevorzugte Passage in der christlichen und der hebräischen Bibel sowie dem Koran aussuchen – auch aus Gedichten und Erzählungen kann ausgewählt werden. Eine Breite, die überdies die religiöse Vielfalt widerspiegeln soll. «Im Strafvollzug gibt es auch Gefangene mit muslimischem Migrationshintergrund, die sich an den religiösen Andachten und Gesprächsrunden beteiligen. Dabei kommt es immer wieder zu einem für beide Seiten erhellenden interreligiösen Dialog, beispielsweise darüber, was mit dem Titel ‹Sohn Gottes› gemeint sein könnte», so Matthias Loretan. «Der Sinn der Rede von der Menschwerdung Gottes meint wohl, dass Gott sich für die Belange der Menschen interessiert. Und dass das Ziel der Geschichte Gottes mit den Menschen sein könnte, dass alle sich als Söhne und Töchter Gottes verstehen, dieses Vertrauen aber je in andere religiöse Bilder und Begriffe fassen», führt Matthias Loretan aus. Um diese Reichhaltigkeit zu fördern, war es dem Seelsorger deshalb wichtig, «eine Fülle von Legenden und Zeugnissen vorzuschlagen, aus denen die Beteiligten einen Text auslesen, der sie besonders berührt», sagt Matthias Loretan. So komme es vor, dass bestimmte Texte mehrmals gewählt wurden und andere gar nicht. Eine Dopplung sei aber nicht schlimm, denn die individuelle Gestaltung mache den Unterschied.
Projekt weiterdenkenDerzeit beteiligen sich in Frauenfeld 15 Gefangene an der Schreibwerkstatt. Gut die Hälfte der Mitwirkenden wurde dabei von den Insassen selbst rekrutiert. Sobald jemand eine entsprechende Stelle für sich gefunden hat, wird der Text auf einem Blatt mit der persönlichen Handschrift nieder - geschrieben, was zu einem meditativen Erfassen des Textes führen könne, sagt der Seelsorger. Auf der gegenüberliegenden Seite können die Schreiber*innen die ausgewählte Textpassage kommentieren, bebildern oder ihre Erfahrungen damit schildern. Nach dem Vorbild der Corona- Bibel (forumKirche 10/20), von der sich Loretan anregen liess – werden die losen Blätter kopiert, gebunden und an die Mitwirkenden abgegeben, die sie dann an ihre Angehörigen verschenken können. Matthias Loretan wünscht sich, dass das Projekt «Mit Hand und Herz» auch an anderen Orten möglich sein kann. «Wir haben die ausgearbeiteten Projektunterlagen anderen Seelsorgenden zukommen lassen, damit sie diese verwenden und weiterentwickeln können. Zuerst natürlich den Gefängnis- und den Psychiatrieseelsorgern, aber auch Verantwortlichen in der Erwachsenenbildung, in der Arbeit mit Senioren und Jugendlichen sowie in Frauengemeinschaften », erklärt Matthias Loretan.
Sarah Stutte, forumKirche, 1.12.19
Links zu den Dokumenten
• Einladung der Gefangenen zur Schreibwerkstatt
• Texte zur Auswahl
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