Kirchgemeindeversammlung rechtlich zulässig
Etliche Kirchenvorsteherschaften stehen aktuell vor der Frage, ob sie die üblicherweise auf Mitte März anzusetzende Kirchgemeindeversammlung durchführen oder absagen und in eine Urnenabstimmung oder briefliche Abstimmung umwandeln sollen.
Im Unterschied zum letzten Frühjahr, als der Bundesrat sämtliche Veranstaltungen verbot, nimmt er in der zweiten Welle bislang die Versammlungen der Legislativen auf eidgenössischer, kantonaler und kommunaler Ebene vom Veranstaltungsverbot aus (Art. 6c Abs.1 Covid-19-Verordnung besondere Lage, SR 818.101.26). Damit unterliegen Kirchgemeindeversammlungen keiner Beschränkung der Personenzahl.
Der Kirchenrat empfiehlt, dass die Kirchenvorsteherschaften folgende Kriterien ansehen, um zu entscheiden, ob sie nun die Kirchgemeindeversammlung einberufen:
-
Steht ein Versammlungsraum zur Verfügung, der so gross ist, dass die erwarteten Teilnehmer*innen mit sicherem Abstand zueinander sitzen können? Sind auch die Zugänge ausreichend gross?
-
Stehen wichtige Geschäfte an, welche die Kirchbürger*innen gerne beraten (Schaffung von Stellen, Baukredite u. ä.)? Oder handelt es sich um wenig kontroverse Standardgeschäfte, über die auch an der Urne abgestimmt werden kann?
-
Würde eine ausreichende Personenzahl überhaupt an der Kirchgemeindeversammlung teilnehmen wollen oder besteht die Gefahr, dass der grössere Teil der meist älteren Personen der Versammlung wegen Corona fernbleibt?
Wechsel zur Urnenabstimmung
Angesichts der steigenden Gefahren (Virusmutationen) und unter Berücksichtigung, dass das öffentliche Leben - abgesehen von politischen Versammlungen und Gottesdiensten - fast vollständig heruntergefahren werden musste, empfiehlt der Kath. Kirchenrat den Kirchenvorsteherschaften, im Frühjahr 2021 auf Kirchgemeindeversammlungen soweit möglich zu verzichten und die aktuellen Geschäfte an die Urne zu bringen.
Juristisch ist der Wechsel von der Kirchgemeindeversammlung zur Urnenabstimmung zugegebenermassen nicht wasserdicht. Gemäss §§ 76 und 79 KOG sind das Budget und die Rechnung zwingend an der Kirchgemeindeversammlung zu behandeln und nicht an der Urne. Diese Bestimmung ist für die normale Situation durchaus richtig. Denn nur an der Versammlung können Fragen beantwortet und Änderungsanträge gestellt werden.
Der Regierungsrat hat am 10. November 2020 wegen der Corona-Pandemie kraft seines Notverordnungsrechts den Handlungsspielraum der Gemeindebehörden bewusst erweitert. Der Beschluss ist im Amtsblatt 46/2020 wie folgt publiziert:
|
Der Beschluss des Regierungsrats gilt ausdrücklich für Politische Gemeinden, Schulgemeinden und Bürgergemeinden, nicht jedoch für die Kirchgemeinden. Der Grund dafür ist, dass die Kirchen im Thurgau so viel Autonomie geniessen, dass der Regierungsrat ihnen möglichst wenig Vorschriften machen will.
Der Kirchenrat würde die Kirchenvorsteherschaften zwar gerne in analoger Weise ermächtigen, wegen der besonderen epidemologischen Lage vorübergehend von den genannten Bestimmungen des KOG abzuweichen. Allein ihm kommt unter der geltenden landeskirchlichen Rechtsordnung keine Notverordnungskompetenz zu. Deshalb wäre ein solcher Erlass nicht rechtmässig.
Der Kirchenrat ermutigt deshalb die Kirchenvorsteherschaften bloss, im Bewusstsein ihrer Verantwortung zu entscheiden und sich dazu den Regierungsratsbeschluss für die Kirchgemeinden zu eigen zu machen.
Der Kirchenrat bittet die Kirchbürgerinnen und Kirchbürger, den Wechsel von der Kirchgemeindeversammlung zur Abstimmung angesichts der Pandemie zu akzeptieren. Denn auch in den anderen Gemeindeformen und in evangelischen Kirchgemeinden werden zurzeit anstelle der Versammlungen Urnenabstimmung oder rein briefliche Abstimmungen angeordnet. Sollten Kirchbürger*innen wegen der Entscheidungen ihrer Kirchenvorsteherschaft rechtliche Fragen oder demokratiepolitischen Bedenken haben, so mögen sie sich bitte mit dem Kath. Kirchenrat in Verbindung setzen, bevor sie Beschwerde erheben.
Urs Brosi, Generalsekretär
Kommentare